Presse
Artikel aus der taz, 25.03.2009
Paderborns Aufklärung
AUS PADERBORN
KATHARINA HEIMEIER
Ein gelber Behandlungsstuhl in einer Paderborner Frauenarztpraxis. Viele der Frauen, die hier Platz nehmen, ihre Füße in die Stützen stellen und die Knie gegen die silberfarbenen Griffe an beiden Seiten drücken, haben sich gegen ein Kind entschieden. Es ist ihre letzte Untersuchung, bevor sie eine Narkose bekommen. Wenig später führt Dr. Mireille Dühlmeyer im Nebenraum ein dünnes Röhrchen in ihre Gebärmutter. Mit einer kleinen Pumpe saugt sie das Gewebe ab – dann ist die Schwangerschaft beendet.
Rund 114.500 Schwangerschaften wurden im vergangenen Jahr nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in Deutschland abgebrochen. In der Region rund um das katholisch-konservative Paderborn am östlichen Rand Nordrhein-Westfalens hat es jedoch bis zum vergangenen Sommer keine Abbrüche gegeben: Die Kreise Paderborn und das angrenzende Höxter waren die einzigen Kreise in Deutschland, in denen keine Abtreibungen möglich waren. „Uns liegen keine Erkenntnisse über andere Regionen vor“, sagt Christian Albring, Präsident des Berufsverbands der Frauenärzte. Seit 1976 sind Abtreibungen in Deutschland unter bestimmten Voraussetzungen straffrei. In Paderborn dauerte es bis zum 4. Juni 2008, bis Mireille Dühlmeyer das Tabu gebrochen hatte. Frauenbewegung, der Kampf um den Paragraphen 218, „mein Bauch gehört mir“ – in Ostwestfalen scheint es so, als habe es all das nie gegeben. Bis Dr. Dühlmeyer kam, mussten Paderborner Frauen das Kreisgebiet verlassen, wenn sie ihre Schwangerschaft abbrechen wollten. Ein offizielles Abtreibungsverbot gab es zwar nicht, aber kein Arzt wollte einen solchen Eingriff vornehmen – und die Krankenhäuser sind alle in konfessioneller Trägerschaft. „Es hat sich nie einer getraut hier im katholischen Paderborn“, sagt Mireille Dühlmeyer. Die Paderborner Frauen kamen deshalb in ihre Praxis nach Bielefeld – „zum Teil unter abenteuerlichen Umständen, mit dem Bus, nüchtern und ihren Kindern im Schlepptau“, sagt sie. „Unhaltbare Zustände“ seien das für sie gewesen. An zwei Tagen in der Woche öffnet Mireille Dühlmeyer ihre Tagesklinik in Paderborn, die sie gyn Optio genannt hat – Optio wegen der freien Wahl. „Wenn ich die Frauen aus dem Wartezimmer abhole, gucken sie immer erstmal, was ist das für eine? Vielleicht stellt man sich eine Frau, die Schwangerschaftsabbrüche durchführt, kühl und brutal vor, wie eine Hexe“, sagt sie. Nach ihrem Studium in Bochum arbeitete 38 Jahre alte Ärztin in konfessionellen Krankenhäusern. Dort durfte sie nicht einmal die Pille danach verschreiben. Abtreibungen waren in dieser Zeit für sie erst recht kein Thema. Doch dann entschied sich die gebürtige Hannoveranerin, eine Praxis in Bielefeld zu übernehmen. Abtreibungen gehörten dort zum Praxisalltag. „Ich habe mir das auch erst schlimm vorgestellt“, sagt die Ärztin. „Ich finde Kinder super.“ Mireille Dühlmeyer selbst sich hat fünf Mal dafür entschieden, ein Kind zu bekommen – und ist froh darüber. Die Frauen, denen sie bei einem „sehr konkreten Anliegen“ helfen könne, seien ihr ans Herz gewachsen, sagt sie. „Das ist befriedigend – auch wenn sich das Wort in diesem Zusammenhang vielleicht merkwürdig anhört“, sagt sie. Es sind die ganz jungen, die zu ihr kommen – und die vielleicht schon zu alten, die schon einige Kinder haben. Andere sind vielleicht Opfer einer Vergewaltigung geworden. „Kriminologische Indikation“, nennen das trocken die Juristen. „Ich stelle die Frau, die lebt und mir gegenüber steht, über das ungeborene Kind“, sagt Dühlmeyer. Die anderen Kolleginnen rund um Paderborn sehen das anders: „Ich nehme aus ethischen Gründen keine Abbrüche vor“, sagt die Frauenärztin Dr. Claudia Holzmüller-Schäfer, deren Praxis im nach wie vor abtreibungsfreien Kreis Höxter liegt. Zwar akzeptiere sie die Entscheidung von Frauen gegen ein Kind voll – sie selbst möchte aber nicht diejenige sein, die eine Schwangerschaft beendet. Mireille Dühlmeyer hält wegen der Einstellung ihrer Kolleginnen deshalb jetzt so etwas wie ein Monopol: „Weit über die Hälfte der Frauen“ aus Paderborn würden in ihre Praxis gehen, „wenn sie sich denn für den Abbruch entscheiden“, schätzt Beate Marchetti, die im Auftrag der christlichen Laienorganisation donum vitae Schwangere in Konfliktsituationen in Paderborn berät. Was genau die Frauen tun, wenn das vorgeschriebene Beratungsgespräch beendet ist, weiß Marchetti aber nicht: Wer abbricht, ruft nicht mehr an. Vier Kilometer sind es von Dühlmeyers Praxis bis zum Domplatz, dem Zentrum des katholischen Paderborn. „Paderborn ist ein schwarzes Loch“, sagt Sabine Lüttges, Leiterin von pro familia in Paderborn. CDU-Regiert, für Lüttges ist die Situation von Paderborn kein Zufall. „Das hat viel mit dem Bischofssitz zu tun“, sagt sie. Es sei konfliktfreier gewesen, die Frauen in andere Landkreise zu schicken. „Jetzt passiert es auch vor Ort – das ist ein neues Gefühl“, sagt die Beraterin. Ein neues Gefühl auch für die Kirche. „Ich nehme das zur Kenntnis, aber vertrete eine andere Position – Leben ist Leben von Anfang an“, sagt Bistumssprecher Ägidius Engel. Die Frauen hätten das Recht, sich auf ihr Gewissen zu berufen. Dass die katholische Prägung des Kreises dafür verantwortlich war, dass bis zum Sommer keine Abtreibungen möglich waren, „stimme ich zu – warum auch nicht?“ Dennoch brauchen die Paderborner Zeit, um sich an die neue Situation zu gewöhnen. Selbst Patientinnen, die aus anderen Gründen zu Mireille Dühlmeyer kommen, können es nicht recht glauben, wie die Ärztin berichtet. Sie hatte mit Auseinandersetzungen gerechnet. „Viele haben mir prophezeit, dass ich Ärger mit dem Erzbischof bekommen werde – ich habe bislang keine persönliche Reaktion bekommen“, sagt sie. Reaktionen kamen allerdings von ihren Kollegen vor Ort. So habe beispielsweise eine Patientin ihrer Frauenärztin berichtet, dass es im Wartezimmer voll gewesen sei. „Daraufhin rief die Ärztin bei mir an und meinte, ich würde Abbrüche wie am Fließband vornehmen. Sie hat damit gedroht, dass sie mich von der Liste nehmen lassen würde“, sagt Mireille Dühlmeyer. Von den Beratungsstellen bekommen die Frauen eine Liste mit den Adressen von allen Ärzten im Umkreis, die Abbrüche vornehmen. Dennoch habe sie gehört, dass manche Kollegen die Frauen nach wie vor wegschicken. Die Paderborner Frauen machen, was der Arzt sagt und wenn der sie irgendwohin schickt, gehen sie da hin“, berichtet Sabine Lüttges von pro familia. „Das Verhältnis Patientin-Arzt ist in Paderborn ganz anders als in Detmold, wo wir auch eine Beratungsstelle haben. Es ist viel hierarchischer.“ Direkt wegschicken würde sie ihre Patientinnen nicht, berichtet die Frauenärztin Dr. Brigitte Hunstig-Inkmann, deren Praxis im Kreis Paderborn liegt. „Aber ich finde es gar nicht so schlecht für die Frauen, wenn sie woanders hinfahren“, sagt sie. Manche Frauen wollten nicht immer wieder an der Tür vorbei kommen, hinter der es passiert sei oder gesehen werden, wenn sie in die Praxis gehen. „Paderborn ist in dieser Hinsicht eine Kleinstadt“, sagt die Ärztin, die auch bei donum vitae engagiert ist. Die meisten ihrer Patientinnen würden daher nach Detmold oder Bielefeld fahren. Ohnehin habe sie die ganzen Jahre keinen Fall erlebt, wo eine Frau keinen Abbruch machen konnte, weil sie nicht nach Bielefeld oder anderswohin kommen konnte. „Die Frauen fahren ja auch zu Ikea nach Bielefeld“, sagt sie. Insofern sei es „keine Riesen-Marktlücke“ gewesen, eine solche Praxis zu eröffnen. Moralische Gründe seien es nicht, die das Verhältnis zu Mireille Dühlmeyer erschweren würden, sondern etwa ein in ihren Augen fragwürdiger Umgang mit Ausfallhonoraren sagt Brigitte Hunstig-Inkmann. „Frau Dühlmeyer verpflichtet die Frauen zu unterschreiben, dass sie 200 Euro zahlen, wenn sie nicht zum Termin kommen und nicht 24 Stunden vorher abgesagt haben – das setzt die Frauen unter Druck“, kritisiert sie. Bei einer solchen Regelung handele es sich um eine gängige Praxis, sagt Sabine Lüttges von pro familia. So ist ein solches Ausfallhonorar auch bei anderen Operationen üblich und rechtlich erlaubt. „Zu einer solchen Zahlung ist es bislang noch nie gekommen. Es geht uns darum, dass die Frauen spätestens 24 Stunden vorher absagen, wenn sie sich gegen den Abbruch entscheiden“, sagt Mireille Dühlmeyer. Mireille Dühlmeyer wundert sich noch heute, mehr als ein halbes Jahr nach Eröffnung ihrer Tagesklinik darüber, dass keiner der Paderborner Frauenärzte selber Abbrüche vornimmt. „Ich habe immer gedacht, die müssen doch die Not sehen“, sagt sie. Offenbar gehe es aber auch um wirtschaftliche Dinge. „Mit Abbrüchen verdient man nicht fürstlich, Praxen brauchen auch normale Sprechstunden“, sagt sie. Die Angst vor der Kirche sei sicherlich nicht der Grund, warum kein Paderborner Kollege Abbrüche macht, sagt ihre Kollegin Hunstig-Inkmann. „Die Kollegen wollten nicht als Abtreibungspraxis laufen“, sagt sie. Bei den Beratungsstellen vermutet man noch andere Gründe. „Ich hatte den Eindruck, dass die Ärzte Angst vorm Spießrutenlaufen hatten“, sagt Sabine Lüttges von pro familia. Und auch Elke Degner vom Freien Beratungs-Zentrum hält die Eröffnung der Tagesklinik in Paderborn für eine couragierte Entscheidung. „Es gehört ein Stück Pioniergeist und auch ein bisschen Mut dazu, hier eine solche Praxis aufzumachen“, sagt sie.
Leserbriefe, Neue Westfälische
Eine Bielefelder Frauenärztin hat die für Paderborn erste Praxis eröffnet, in der Abtreibungen vorgenommen werden, und fragt, wieso keiner der dortigen Ärzte die Not der Frauen gesehen hat. Ich finde es sehr ungewöhnlich, dass es bisher dort keine solche Praxis gab. Wirklich erschreckend aber ist, dass der Sprecher des Erzbistums Paderborn, Ägidius Engel, diese Tatsache ganz ungeniert auf den Einfluss der katholischen Kirche zurückführt.
Ich frage mich, wie dieser Einfluss aussieht – wird mit Diffamierung gedroht, mit sozialer Ausgrenzung? (. . .) Jede dieser Möglichkeiten ist gleichermaßen bedrückend, und darum möchte ich mich an die Vorstellung klammern, dass in Paderborn rein zufällig alle Frauenärzte überzeugte Abtreibungsgegner sind.
Bedauerlich ist in jedem Fall, dass die örtlichen unabhängigen Schwangeren-Beratungsstellen offenbar nicht gewillt oder in der Lage sind, im Sinne der betroffenen Frauen auf ein Verschwinden derartiger „weißer Flecken“ auf der bundesdeutschen Landkarte hinzuwirken, und die Paderbornerinnen auf Entwicklungshilfe aus Bielefeld angewiesen sind.
Hallo Frau Dühlmeyer,
Sie haben Recht, ich habe im Archiv zumindest einen Leserbrief aus einer anderen Lokalausgabe gefunden, den ich Ihnen hiermit schicke. Haben Sie sich entschieden, was eine Reaktion ihrerseits auf den Qualitätszirkel betrifft? Wie ich Ihnen gesagt habe, wäre dies als Artikel – mit den Ihnen wichtigen Zitaten – möglich.
Beste Grüße aus dem sonnigen Paderborn und alles alles Gute
Jetzt weiß man, warum so viel Sterne bzw. Sternchen am Himmel stehen. (…) Diesen Bericht zu lesen, erfüllt mich mit Mitleid und Schrecken. Mitleid mit einer Ärztin, die sich für so etwas hergibt. Und Mitleid und Schrecken für die Frauen, die in Not sind. (. . .)